Die wirtschaftliche und soziale Grenze zwischen Luxemburg und seinen Nachbarn

Im Juni wurde das vierzigjährige Jubiläum des Schengen-Abkommens gefeiert, jedoch getrübt durch die Wiedereinführung von Kontrollen an einigen EU-Binnengrenzen. Besonderen Anlass zum Feiern gab es naturgemäß in Schengen selbst, wo das Abkommen 1985 unterzeichnet wurde. Wenig Aufmerksamkeit findet, dass gerade in diesem europäischen Kernraum um Schengen in den letzten Jahren eine neue, kaum sichtbare ökonomische und soziale Grenze entstanden ist, die die Menschen und die Unternehmen voneinander trennt und die Lebensverhältnisse beeinträchtigt. Sie fällt mit der Außengrenze Luxemburgs zusammen. Das Großherzogtum hat wie kaum ein anderes Land von Binnenmarkt, Währungsunion und offenen Grenzen profitiert und durch geschickte Anwendung verbliebener nationaler Zuständigkeiten in nur vier Jahrzehnten sein BIP pro Kopf an die EU-Spitze gebracht. Das hohe Wachstum ging einher mit einem enormen Bevölkerungszuwachs, der vor allem durch Zuwanderungen aus dem europäischen Ausland zustande kam, und mit einem rasanten Anstieg der Grenzpendlerzahlen auf inzwischen 229.000. Fast jeder zweite Beschäftigte in Luxemburg pendelt täglich über die Grenze, 126.000 kommen aus Frankreich, 52.000 aus Deutschland und 51.000 aus Belgien (STATEC).

Luxemburgs Wirtschaftsboom hat kaum auf seine Grenzregionen ausgestrahlt

In Luxemburg herrscht die Auffassung vor, dass seine Nachbarregionen in Belgien, Frankreich und Deutschland vom starken Wirtschaftswachstum des Landes profitieren. Diese auch in den Grenzregionen verbreitete These ist jedoch nicht zutreffend (Jakoby, 2025). Die gestiegenen Einkommenszuflüsse durch das Grenzpendeln lenken davon ab, dass die Grenzregionen parallel zum Aufstieg Luxemburgs wirtschaftlich zurückgefallen sind und zwischen ihnen und Luxemburg eine neue Wohlstandsgrenze entstanden ist.

Am deutlichsten ist dies beim BIP pro Einwohner:in erkennbar. Während Luxemburg lange Zeit jahresdurchschnittliche Wachstumsraten von 5 % erzielen konnte und mit 118.800 Euro inzwischen ein dreimal so hohes BIP pro Kopf wie im EU-Durchschnitt aufweist, sind seine drei direkten Nachbarregionen (Lothringen, Trier, belgische Provinz Luxemburg) hinter den Durchschnitt der EU zurückgefallen. Am stärksten war der Rückgang in Lothringen (von 107 % des EU-Durchschnitts im Jahr 2000 auf 77 % im Jahr 2022), aber auch die Region Trier fiel von 108 auf 94 % (Eurostat) deutlich zurück. Daran konnten auch die vielfach behaupteten, aus der Statistik aber kaum ablesbaren Nachfrageimpulse aus Luxemburg für Handwerk und Einzelhandel in den Grenzregionen nichts ändern. Luxemburg behindert eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung in den Grenzregionen durch das Absaugen eines Großteils ihrer qualifiziertesten Arbeitskräfte.

Das BIP pro Einwohner:in eignet sich im Falle Luxemburgs nur sehr eingeschränkt zur Messung des materiellen Wohlstands, weil es die ins Ausland abgeflossenen Arbeits- und Kapitaleinkommen enthält, darunter auch die Einkommen der Grenzpendelnden. Für Wohlstandsvergleiche wird daher oft das um diesen Effekt bereinigte Bruttonationaleinkommen (BNE) vorgezogen. Mit 81.500 Euro pro Einwohner:in im Jahr 2023 fällt es in Luxemburg niedriger aus als das BIP pro Einwohner:in, liegt mit 237 % aber immer noch weit über dem EU-Durchschnitt.

Geringe Auswirkungen des Pendelns auf die durchschnittlichen Haushaltseinkommen der Grenzregionen, jedoch erhöhte Einkommensungleichheit

Ein unmittelbarer Vergleich des BNE zwischen Luxemburg und seinen Grenzregionen ist nicht möglich, da dieses auf regionaler Ebene nicht berechnet wird. Regionale Daten existieren jedoch für die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte. Die Grenzregionen schneiden bei diesem Indikator in Relation zum EU-Durchschnitt zwar besser ab als beim BIP pro Einwohner:in, liegen aber auch hierbei weit hinter Luxemburg und haben ihren Rückstand in den letzten 20 Jahren nicht verringern können. Die privaten Einkommen sind in Luxemburg mit 197 % (aktuellste verfügbare Daten bei Eurostat, Datenbestand 2025) doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt, sein Vorsprung ist seit 2000 (202 %) fast gleichgeblieben. Auch in der Region Trier hat sich die relative Einkommensposition zum EU-Durchschnitt mit einem leichten Rückgang im selben Zeitraum von 134 auf 132 % des EU-Durchschnitts kaum verändert, während sie in Lothringen von 121 auf 113 % spürbar gesunken ist. Nur die belgische Provinz Luxemburg konnte sich geringfügig von 119 auf 125 % verbessern.

Aufgrund der steigenden Pendlerzahlen hätte man einen starken Anstieg der durchschnittlichen Haushaltseinkommen in den Grenzregionen und eine entsprechende Verringerung ihres Rückstands auf Luxemburg erwarten müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Es ist nur zu einer Umschichtung von Einkommen zugunsten der Grenzpendelnden und zulasten der übrigen Bevölkerung gekommen. Der Wirtschaftsboom in Luxemburg hat den Grenzregionen keine generelle Wohlstandssteigerung gebracht.

Mit dem Anstieg des Grenzpendelns hat die Einkommensungleichheit in den Grenzregionen zwischen gutverdienenden Pendler:innen und der übrigen Bevölkerung zugenommen. In der Region Trier sind die Bodenpreise durch die hohe Nachfrage der Grenzpendelnden und damit auch die Lebenshaltungskosten überproportional stark gestiegen (Statistische Ämter des Bundes und der Länder A), was auch die übrige Bevölkerung belastet.

Hohe Steuerausfälle in den Grenzregionen

Während das Grenzpendeln das Gefälle bei den Durchschnittseinkommen der privaten Haushalte zwischen Luxemburg und seinen Nachbarn kaum beeinflusst hat, sind die Unterschiede bei den staatlichen Einnahmen stark gestiegen. Nach den Doppelbesteuerungsabkommen verbleiben die Einkommensteuern der Grenzpendelnden am Arbeitsort, also in Luxemburg. Dies und weitere steuerliche Besonderheiten bewirken, dass Luxemburg trotz überwiegend niedrigerer Steuersätze wesentlich mehr Steuern einnimmt und höhere staatliche Ausgaben tätigen kann als seine Nachbarn. 2024 nahm Luxemburg mit 39.500 Euro (Berechnungen nach Eurostat) mehr als dreimal so viele Steuern pro Einwohner:in ein wie Deutschland (12.000) und Frankreich (12.300). Dies ermöglicht es dem Großherzogtum, weit mehr für seine Infrastruktur und öffentlichen Dienste auszugeben als seine Nachbarn, wozu auch die kostenfreie Benutzung des ÖPNV gehört.

Besonders nachteilig wirkt sich die Besteuerung der Grenzpendelnden auf die Steuerkraft ihrer Wohnortgemeinden aus. In den unmittelbar an Luxemburg angrenzenden deutschen Städten und Gemeinden liegt diese bei nur zwei Drittel des Bundesdurchschnitts (Statistische Ämter des Bundes und der Länder B) und ist auch deutlich geringer als in vergleichbaren grenzfernen Kommunen. Die Grenzpendelnden und ihre Familien nehmen die kommunale Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen in Anspruch, ohne durch Einkommensteuern zu ihrer Finanzierung beizutragen. Die deutschen Grenzgemeinden zu Luxemburg waren dadurch in den letzten Jahren gezwungen, mehr neue Schulden aufzunehmen als andere Kommunen (Jakoby, 2025). Dies alles hat zur Folge, dass an der Grenze zwischen Luxemburg und seinen Nachbarländern ein krasses Gefälle bei der Qualität der Infrastruktur und den öffentlichen Dienstleistungen entstanden ist.

Luxemburgs Politik rein auf nationale Interessen ausgerichtet

Die Staatsgrenze zwischen Luxemburg und seinen Nachbarn ist zwar offen, aber die großen Unterschiede bei den privaten Einkommen und mehr noch bei den öffentlichen Einnahmen haben eine neue Barriere geschaffen, die nicht weniger trennend wirkt. Sie ist die Folge der lediglich partiellen Übertragung von Souveränitätsrechten von den Mitgliedstaaten auf die EU, die es vor allem kleinen Ländern wie Luxemburg ermöglicht, die Vorteile des Binnenmarktes und der Währungsunion voll auszuschöpfen und gleichzeitig mit den verbliebenen nationalen Kompetenzen in der Finanz- und Steuerpolitik die staatlichen Einnahmen zu maximieren. Durch geschickte Ausgestaltung seines Unternehmens- und Steuerrechts hat Luxemburg seine Souveränitätsrechte kommerzialisiert und den freien Kapital- und Dienstleistungsverkehr in der EU dazu genutzt, ein außerordentlich hohes Finanzvermögen aus anderen Ländern anzuziehen und einen überdimensionierten Finanzsektor als Basis seines hohen Einkommensniveaus zu schaffen. Großen Ländern wie Deutschland oder Frankreich ist dieser Weg versperrt. Im Unterschied zu Luxemburg können sie auch nicht jeden zweiten Arbeitsplatz mit Grenzpendelnden besetzen. Ohne den Beitrag der qualifizierten Arbeitskräfte aus den Grenzregionen, die ihre Steuern in Luxemburg lassen, würde sein Wohlstand schnell dahinschmelzen.

Die Staatsgrenze verhindert, dass Luxemburgs wirtschaftliche Dynamik auf die Nachbarregionen übergreift. In vergleichbaren Regionen, die nicht durch Staatsgrenzen getrennt sind, führen steigende Bodenpreise, Wohnungsknappheit, Verkehrsengpässe und Mangel an Arbeitskräften normalerweise zu einer Ausbreitung der wirtschaftlichen Dynamik in das angrenzende Umland hinein. Die Einkommensteuern der Pendler:innen fließen in deren Wohnorte und wirken auf gleichwertige Lebensverhältnisse hin. Eine Raumordnung, die sich auf den gesamten Verflechtungsraum erstreckt, ermöglicht eine räumlich-funktionale Arbeitsteilung im Interesse aller Teilregionen. Luxemburg richtet seine Finanz, Steuer-, Sozial- und Infrastrukturpolitik jedoch an rein nationalen Zielen aus, so dass ihre Effekte an der Staatsgrenze enden. Zwar bekundet Luxemburg grundsätzlich sein Interesse an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen, zum Beispiel in dem 2023 beschlossenen Raumordnungsprogramm PDAT. Aber ernsthaftes Bemühen ist nur bei Maßnahmen erkennbar, die dem Land unmittelbaren Nutzen bringen, wie der Verbesserung von Ausbildung und Mobilität der Grenzpendelnden. Die Staatsgrenze wird so zu einer Wohlstandsgrenze und behindert eine kohärente Entwicklung des Gesamtraumes.

Luxemburg sieht sich als europäisches Vorbild, ignoriert aber die neu entstandene wirtschaftliche und soziale Grenze zu seinen Nachbarn. Die durch Schengen erfolgte Grenzöffnung allein führt noch nicht zu ihrer Überwindung, sondern sie kann die Trennung sogar verstärken, wenn sie nicht mit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Nachbarn auf allen Gebieten einhergeht. Diese sollte sich auch auf Handlungsfelder erstrecken, die Luxemburg derzeit noch als seine alleinige nationale Zuständigkeit betrachtet. In der luxemburgischen Politik und Öffentlichkeit ist für einen solchen Bewusstseinswandel noch kaum Bereitschaft erkennbar. Aber auch die Grenzregionen werden von ihren nationalen Regierungen derzeit institutionell nicht hinreichend unterstützt, um als kompetenter Partner Luxemburgs handeln zu können. Luxemburg muss einstweilen mit dem Vorwurf leben, dass das von ihm gepflegte Bild des europäischen Musterlandes der Realität widerspricht.

Literatur und Daten

Eurostat: Gross domestic product (GDP) at current market prices by NUTS 2 region. https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/nama_10r_2gdp/default/table?lang=en&category=reg.reg_eco10.reg_eco10gdp (Zugriff: 30/06/2025)

Le Gouvernement du Grand-Duché de Luxembourg (2023): Programme directeur d’aménagement du territoire (PDAT). https://amenagement-territoire.public.lu/content/dam/amenagement_territoire/fr/strategies_territoriales/pdat-2023/annexes/pdat-programme-directeur-damnagement-du-territoire-4072023.pdf

Jakoby, H. (2025): Nachbar Luxemburg – Segen oder Fluch für die Region Trier. Econdata, Januar 2025. https://econdata.eu/nachbar-luxemburg-segen-oder-fluch-fuer-die-region-trier/

STATEC: Domestic payroll employment by place of residence https://lustat.statec.lu/vis?lc=en&pg=0&bp=true&snb=31&fs[0]=Topics%2C1%7CPopulation%20and%20employment%23B%23%7CLabour%20market%23B5%23&fc=Topics&df[ds]=ds-release&df[id]=DSD_EMPLOI_SAL%40DF_B3002&df[ag]=LU1&df[vs]=1.0&dq=..Q….&lom=LASTNOBSERVATIONS&lo=5&pd=2015-Q1%2C2024-Q4&to[TIME_PERIOD]=false (Zugriff: 30/06/2025)

Statistische Ämter des Bundes und der Länder A: Regionaldatenbank. 61511 – Kaufwerte für Bauland. https://www.regionalstatistik.de/genesis/online?operation=statistic&levelindex=0&levelid=1750933360662&code=61511#abreadcrumb (Zugriff: 30/06/2025)

Statistische Ämter des Bundes und der Länder B: Regionaldatenbank B. 71231 – Realsteuervergleich. https://www.regionalstatistik.de/genesis/online?operation=statistic&levelindex=0&levelid=1750933360662&code=71231#abreadcrumb (Zugriff: 30/06/2025)

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